Über Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken

Wer lenkt das Geld?

Mythen über "die Juden" und die Finanzsphäre

In dieser Episode dreht sich alles um's Geld! Denn zu diesem Thema finden wir besonders viele antisemitische Verschwörungserzählungen. Wir beleuchten die psychologischen Bedürfnisse hinter diesem Verschwörungsdenken. Gehen den Ursprüngen judenfeindlicher Vorurteile mit Bezug auf Geld auf den Grund. Erklären, warum so viele Menschen glauben können, dass Jüdinnen*Juden alle reich wären. Setzen uns mit Analysen der Finanzsphäre auseinander. Und widmen uns kurz den unfreiwilligen Stars antisemitischer Verschwörungserzählungen: Der Familie Rothschild.

Unser Gast

Dr. Frank Engster…

… ist politischer Bildner. Er hat Philosophie studiert und zu dem Thema Geld promoviert. In seiner Arbeit beschäftigt er sich unter anderem mit den Themen Arbeit, Wohlstand, Reichtum und Ökonomie. Von ihm erschienen ist: “Das Geld als Maß, Mittel und Methode” (2014)

Wie immer mit

Prof. Dr. Gideon Botsch…

…ist Politik- und Sozialwissenschaftler. An der Universität Potsdam doziert er in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er publiziert und forscht seit Jahren zu den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus und ist Leiter der “Emil Julius Gumbel Forschungsstelle”. Von ihm erschienen ist unter anderem „Umvolkung und Volkstod - Zur Kontinuität einer extrem rechten Paranoia" (2019).

 

Dr. Pia Lamberty…

…ist Psychologin. Sie forscht seit Jahren zu der Frage, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben und ist Mitbegründerin von CEMAS, dem “Center für Monitoring, Analyse und Strategie”. Gemeinsam mit Katharina Nocun veröffentlichte sie 2020 den Bestseller „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Im Jahr 2023 erschien außerdem noch “Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik” (2022).

Weiterführende Informationen

Hier geht es zur Berliner Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen →  LINK

 

Quelle 1 - Jehuda Feliks: Crafts. In: Encyclopaedia Judaica. Band 5. Detroit / Jerusalem 2007, S. 263 – 272. 

 

Quelle 2 - Stefi Jersch-Wenzel, François Guesnet, Gertrud Pickhan, Andreas Reinke, Desanka Schwara - Juden und Armut in Mittel- und Osteuropa. Köln 2000.

 

Empfehlungen

Anders Denken - Ein kurze übersichtliche Zusammenfassung zu Ökonomiekritik und Antisemitismus → LINK

 

Deutschlandfunk Kultur - Ein Interview über Kritik am Kapitalisimus → LINK

 

Fritz Bauer Institut - Eine historische Gegendarstellung von Wolfgang Geiger (S. 30-37) zum Vorurteil, dass alle Jüdinnen:Juden im Geldhandel tätig gewesen wären → LINK

 

Zentralrat der Juden in Deutschland - Eine Kommentar zum Vorurteil des “jüdischen Reichtums” → LINK

 

Avraham Barkai: Einundzwanzigstes Bild: „Der Kapitalist“. In: Julius H. Schoeps/Joachim Schlör (Hg.): Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München 1995, S. 265-272.

 

Fritz Backhaus, Raphael Gross, Liliane Weissberg - Juden. Geld. Eine Vorstellung. Frankfurt/New York 2013.

 

Holger Schatz, Andrea Woeldike: Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen Projektion. Münster 2001.  

 

Sabine Hödl, Peter Rauscher, Barbara Staudinger - Hofjuden und Landjuden: Jüdisches Leben in der frühen Neuzeit. Berlin/Wien 2004.

 

Stefi Jersch-Wenzel, François Guesnet, Gertrud Pickhan, Andreas Reinke, Desanka Schwara - Juden und Armut in Mittel- und Osteuropa. Köln 2000.

 

Rahel Jaeggi, Nancy Fraser - Kapitalismus. Ein Gespräch über kritische Theorie. Berlin 2020.

 

Wolfgang Geiger: Christen, Juden und das Geld. Über die Permanenz eines Vorurteils und seine Wurzeln. In: Einsicht 04. Bulletin des Fritz Bauer Instituts 2010, S. 30-37.

Script zur Episode

Script 

„Verdächtig Mächtig“ - Ein Podcast über Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken. Was kennzeichnet Verschwörungsmythen? Warum spielen Fantasien über Jüdinnen und Juden dabei oft eine zentrale Rolle? Und wie kann man dem entgegenwirken? Gemeinsam mit unseren Gästen suchen wir nach Antworten. Ein Projekt von Bildung in Widerspruch e.V.. Gefördert im Rahmen des Berliner Landesprogramms Demokratie, Vielfalt, Respekt, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. 

Moderation: Dörthe Eickelberg  

 

Money, Money, Money – In dieser Episode geht es genau darum. Denn dazu gibt es Unmengen an Verschwörungserzählungen. Nicht unbedingt zu dem bisschen Papiergeld hier. Sondern über Börsen und Banken und generell der ganzen Wirtschaft. Immerhin hat das alles mit Geld zu tun. Und genau DEM gehen wir heute auf die Spur. Und natürlich der Frage: Warum gibt es so viele antisemitische Verschwörungsmythen dazu? 

Bei der Recherche mussten wir allerdings feststellen: Eigentlich wissen wir das gar nicht so richtig, was das denn genau ist. Das Geld. Wir wissen: Es ist etwas zum Handeln. Etwas mit einem Wert. Das können wir tauschen, gegen etwas, dem der gleiche Wert zugemessen wurde. Aber Geld hat auch etwas mit Wirtschaft zu tun. Und schon scheint es komplizierter zu werden. Ist es die Komplexität, die Menschen anfällig für Verschwörungserzählungen zu diesem Thema macht? Dafür fragen wir mal die Psychologin Pia Lamberty. 

 

Pia Lamberty 

Also generell ist es ja so, ich vermute, dass das Wissen über Geld in der Gesellschaft, obwohl es so präsent ist, vielleicht gar nicht so hoch ist. Also ich vermute, wenn ich jetzt mal eine Straßenumfrage machen würde: “erklären Sie mir die Börse und wie Geldanlegen funktioniert” wären viele Menschen überfordert. Das heißt, wir haben etwas, was enorm wichtig ist für unser Leben und Überleben. Und gleichzeitig aber etwas, was sich irgendwie schwer verstehen lässt. Was irgendwie sehr abstrakt ist. Das ist Geld an sich ja schon. Und weiß ich nicht, wenn man nochmal an Kryptowährungen oder sowas denkt, dann wird das ja noch mal abstrakter für Menschen und schwerer greifbar. Also Wichtigkeit und die Schwierigkeit das zu verstehen. Und das denke ich sind so die beiden Top Zutaten, wenn man möchte, dass ein Thema verschwörungsideologisch aufgeladen wird. 

 

Verschwörungsideologisch aufgeladen – das ist das Thema Geld definitiv. Aber wir wissen jetzt immer noch nicht, was Geld ist. Und das ist schon verwunderlich - wie abhängig wir davon sind, wie alltäglich es ist – und wie wenig wir darüber eigentlich wissen. Was sagt unser Experte Frank Engster dazu? 

 

Frank Engster 

Also man darf sagen: Eigentlich weiß keiner so genau, was Geld ist. Bis heute ist es nicht gelungen, eine allgemein akzeptierte Geldtheorie zu formulieren. Auch die Volkswirtschaftslehre weiß es nicht, sie gibt allerdings Erklärungen ab, was das Geld ist. In der Regel ist das Geld das Maß des Werts, ist Tauschmittel und ist Wertaufbewahrungsmittel. Das sind aber erstens nur Definitionen und bloße Aufzählungen. Und zweites wird das Geld eigentlich dadurch eher nur noch rätselhafter. Denn warum kann das Geld Wert messen? Warum kann es Wert übertragen und aufbewahren? Warum kann das Geld sogar vermehren? Und so haben die ehrlichsten Vertreter der Volkswirtschaftslehre denn auch zugegeben, dass das Geld bis heute eigentlich ein Rätsel geblieben ist.  

 

Wir kommen unserem Thema auf die Spur. Verschwörungsdenken kann vor allem dort gut gedeihen, wo wir Rätsel finden. Wo es Unklarheiten und Missverständnisse gibt. Was die Finanzsphäre angeht – also das System aus Banken, Handel, Börse, Wirtschaft usw., gibt es eine Menge davon. Frank Engster, was sind denn die klassischen Missverständnisse? 

 

Frank Engster 

Das erste Missverständnis ist, dass sich vorgestellt wird, die sogenannte Realökonomie – also da, wo gearbeitet und produziert, Güter hergestellt werden – und die Finanzsphäre, seien zwei getrennte Sphären. Die gehören im Kapitalismus aber funktional zusammen, und sind immer aufeinander bezogen, von Anfang an. Also große Automobilkonzerne zum Beispiel, sind im Kapitalismus immer beides: Sie stellen nicht nur Autos her, sondern sie sind Aktiengesellschaften und halten selber Aktien von anderen Konzernen. Sie sind Banken, haben eine Finanzabteilung, sie nehmen Kredite und vergeben auch Kredite. 

Das zweite Missverständnis ist, dass sich nicht nur vorgestellt wird, diese zwei Sphären seien getrennt, sondern das sich vorgestellt wird, die eine Sphäre würde sozusagen abgeleitet sein aus der anderen. Also erst muss man produzieren, arbeiten, dann kommen Gewinne, und die kann man dann wieder reinvestieren. Im Kapitalismus ist es aber sozusagen logisch gesehen und auch chronologisch gesehen eher umgekehrt. Erst gibt es so etwas wie Kredit, Verschuldung, Investitionen und daraus folgen dann die Einkommen, die sozusagen im Nachhinein diese Verschuldung rechtfertigen.  

Und die dritte Eskalationsstufe ist nun, dass sich nicht nur vorgestellt wird, das sind zwei getrennte Sphären und die eine ist aus der anderen erst abgeleitet, sondern dass sich dieser Finanzbereich gegenüber der Realökonomie verselbständigt hat. Oder würde sogar auf Kosten der Realökonomie leben. Also sie sei im drastischsten Fall so etwas wie eine parasitäre Sphäre. Zumindest in bestimmten Krisenzeiten, würde sich die Finanzsphäre sozusagen auf Kosten der Realökonomie, auf Kosten von Arbeit und Produktion bereichern.  

 

Also Arbeit und Produktion und die Finanzsphäre sind nicht voneinander getrennt, sondern gehören zusammen. Und schon gar nicht funktioniert der Finanzbereich auf Kosten der Realökonomie. Im Gegenteil: Wir können uns merken, es ist ein großer Kreislauf, ein System. Nicht Arbeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Banken und die Börsen. Doch genau dieser vermeintliche Gegensatz ist es, der zentral für die antisemitische Aufladung ist. Denn: 

 

Frank Engster 

Personifiziert wird genau das, was im Kapitalismus unsichtbar, anonym und abstrakt funktioniert.   

Also, woher hat das Geld seinen Wert und seine ökonomische Macht, auch seine politische Macht? Woher kommt Profit und Gewinn? Und was hat das mit dieser scheinbar abgespaltenen Finanzsphäre auf sich? Und das sind eigentlich drei Leerstellen, also die Macht, der Profit und die Finanzsphäre, die klassischerweise im Kapitalismus mit „dem Juden“ besetzt werden. Und das ist das, was man als Personifizierung bezeichnen könnte, oder auch als Personifizierung des Abstrakten, Anonymen, der unsichtbaren Macht. 

 

Jetzt muss man sich aber ja mal fragen: Wieso denn überhaupt “die Juden”? Könnte man nicht auch eine andere Gruppe nehmen, die für diese Personifizierung herhalten muss? Das ist natürlich kein Zufall. Denn in der Jahrtausendealten Judenfeindschaft spielt Geld immer wieder eine Rolle. Und dem gehen wir mal auf dem Grund:  

 

Im Antisemitischen Denken gibt es mehrere auf Geld bezogene Charaktereigenschaften, die Jüdinnen und Juden unterstellt werden: Sie seien habgierig, geizig und zur Not auch kriminell, um an möglichst viel Geld zu gelangen. Weitere weit verbreitete Vorurteile sind, dass Jüdinnen und Juden zum Größten Teil reich oder wohlhabend seien. Manchmal verstecken sich diese Vorurteile auch hinter einer etwas freundlicher anmutenden Aussage. Dann heißt es: Sie seien besonders intelligent und könnten einfach gut mit Zahlen und Geld umgehen. Als vermeintlicher Beweis für solche Behauptungen wird sich auf die Geschichte des Geldhandels bezogen. 

 

Vielleicht haben sie so etwas schon mal gehört. Jemand sagt: „Die Juden sind doch reich! Weil die damals ja alle im Geldhandel arbeiten mussten!” - Solche oder ähnliche Vorstellungen sind weit verbreitet. Aber was hat das mit der Realität zu tun? Um das herauszufinden, also wo bestimmte antisemitische Vorurteile ihren Anfang nehmen, sprechen wir mit jemandem, der sich darin richtig gut auskennt: Dem Historiker Gideon Botsch.  

 

Gideon Botsch 

Also schon in der Antike waren, Jüdinnen und Juden, Juden vor allem, im Mittelmeerraum und darüber hinaus im Handel tätig. Und Handel und Zwischenhandel geht natürlich immer auch um Geld. Und da gab es auch Systeme mit Geld, also Kredite, Kreditwesen usw. einzuführen. Im Islam wie im Christentum war das Geld verleihen gegen Zinsen verboten. Also Christen und auch Muslimen war es verboten und hier bedienten sich beide dominanten Kulturen folgendem Trick: Sie erlaubten sozusagen Juden, den Handel mit Geld gegen Zinsen. (Teilweise insbesondere im Mittelalter in Europa waren andere Gewerbezweige für Juden streng verboten. Das heißt letztendlich blieb Juden nur die Möglichkeit mit Geld zu handeln in manchen Situationen und in manchen Lagen.) Und daraus ergab sich eben eine Identifikation von Juden und Geldhändlern in manchen Phasen in Mittelalter und früher Neuzeit.  

 

Diese Identifikation mit dem Geldhandel hält sich bis heute. Und füttert eine falsche Vorstellung von den angeblich reichen Jüdinnen und Juden. Denn erstens, gab es trotz des Berufsverbotes immer noch Jüdinnen und Juden, die Handwerk ausübten. Und trotz Verbotes wurde auch weiterhin durch die christliche Bevölkerung Geldverleih betrieben – nur eben versteckt. Zweitens: Jene, die im Geldverleih arbeiteten, wurden dadurch noch lange nicht reich. Aber können wir nicht sogar weiter zurück in die Geschichte schauen? Schließlich lässt sich das Motiv der Gier in den Anfängen der christlichen Judenfeindschaft finden. Immerhin ist es Judas, der sich kaufen lässt und Jesus an die Römer verrät.  

Judas, der später in der Kirche als Vertreter für alle Jüdinnen und Juden gilt. Natürlich wirken solche religiösen Bilder bis heute nach. Sie überlagern sich dann mit weiteren Zuschreibungen und historischen Bezügen. Welche sind das, Gideon Botsch? 

 

Gideon Botsch 

Es gibt natürlich dieses Motiv vom käuflichen Judas. In der christlichen Vorstellung gibt es dieses Motiv, das ist vorhanden. Aber ich denke, ausschlaggebend ist es nicht. Sondern ausschlaggebend ist tatsächlich eine Situation, in der dieser jüdische Geldhandel dann auch überflüssig wird und als überflüssige Konkurrenz beseitigt wird. Dann nämlich als Christen des Zinsverbot gelockert und schließlich aufgehoben wird in der christlichen Welt. Beziehungsweise sich einige europäische Herrscherhäuser ihre jüdischen Hoffaktoren halten quasi. Und diese Hoffaktoren – das sind Juden, die dem Hof nahestehen, wegen ihrer guten Handelsbeziehungen, ausgewiesen guten Handelsbeziehungen ganz Europa teilweise darüber hinaus sozusagen Kreditmöglichkeiten für die großen Höfe, wie hier in Potsdam beispielsweise oder in anderen europäischen Hauptstädten sozusagen nutzbar machen, dass die überhaupt ihren Bedarf an Kapital reinbringen können.  

 

Hoffaktoren - Also am Hof arbeitende wohlhabende jüdische Händler. Die gibt es tatsächlich. Und untermauern natürlich wieder das Vorurteil, dass alle Jüdinnen und Juden etwas mit Geld zu tun hätten. Doch diese Hoffaktoren sind die Ausnahme. Und ein Blick in die Geschichte zeigt: Ihre Stellung am Hofe stellt für sie immer ein Risiko dar. 

 

Das sehen wir am tragischen Beispiel von Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer. Im 18. Jahrhundert wirkt der Bankier Oppenheimer am Hof vom Württembergischen Herzog. Er ist für die Finanzen des desolaten Herzogtums verantwortlich und führt eine Vielzahl an Neuerungen ein. So erlegt er auch Steuern auf und macht sich damit viele Feinde. Nach dem Tod des Herzogs wird Oppenheimer verhaftet und in einem der größten Schauprozesse dieser Zeit für Allesmögliche angeklagt. In der Haft wird er zum Übertritt zum Christentum gedrängt, dem er sich aber verweigert. Süßkind Oppenheimer wird zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung hat Volksfestcharakter: mit Buden, Tribünen und von weit her angereistem Publikum. Schon damals ist klar: Er stirbt als Sündenbock für die Politik des verstorbenen Herrschers. Und er stirbt als Jude, wie die antisemitische Hetze dieser Zeit klar zeigt. Sein Leichnam wird nach der Hinrichtung mehrere Jahre lang in Stuttgart in einem Käfig öffentlich ausgestellt.  

Die Geschichte eines angeblich korrupten und geldgierigen jüdischen Hoffaktors wurde später für antisemitische Propagandazwecke genutzt. So auch von den Nationalsozialisten. Sie sahen in Oppenheimer den Beweis für moralische Verwerflichkeit und Geldgier. Ihm widmeten sie sogar einen ganzen Propagandafilm, namens “Jud Süß”. 

 

In der antisemitischen Fantasie sind es Menschen wie Oppenheimer, also einzelne erfolgreiche oder reiche Juden und Jüdinnen, die als Feindbild herhalten müssen. Mit schwindendem Einfluss des Adels werden auch die Hoffaktoren immer irrelevanter. Jüdische Bankiers gibt es jedoch noch immer. 

 

Gideon Botsch 

Also sehr oft haben wir eine kleine, lokale Bank im ländlichen Raum, die eine sehr eng begrenzte Kundschaft bedient und diese, dieser Kundschaft sehr eng verbunden ist. Das heißt, der Geldverleiher, der Bankier hat eigentlich ein großes Interesse daran, dass sein Kunde nicht pleite geht. Deswegen haben wir eigentlich sehr oft überdurchschnittlich gute Kreditbedingungen im jüdischen Geldhandel gehabt. Da wo er sozusagen klein und überschaubar war. 

Und natürlich gibt es einige, sehr erfolgreiche jüdische Bankhäuser, aber es gibt natürlich auch welche die krachend pleite gegangen sind und krachend pleite gehen. Und es gibt viele Juden die überhaupt kein gutes Verhältnis zu Geld haben. Gerade im europäischen Kontext waren gerade in Osteuropa waren die Juden eine bitterarme Bevölkerungsgruppe, die oft überhaupt kein Geld hat. 

 

Historische Quellen belegen sogar, dass die jüdische Minderheit oft von extremer Armut betroffen war. Die sogenannten „Betteljuden“ wurden aus Städten vertrieben, oder waren auf die Unterstützung jüdischer Gemeinden angewiesen. Nichtsdestotrotz hält sich vor allem das Geraune über die angeblich unzähligen, großen, reichen jüdischen Bankenhäuser. Und dass, obwohl die meisten jüdischen Geldhändler eher klein und lokal agierten. Was hat es damit auf sich? Wir gehen dem mal nach und landen fast zwangsläufig bei dem Beispiel schlechthin: Nämlich bei den VIPs der antisemitischen Verschwörungsszene: Der Familie Rothschild. Denn die müssen ständig als Beweis herhalten, dass alle Jüdinnen und Juden ja doch reich und einflussreich seien. Auch, wenn ihre Erfolgsgeschichte eine absolute Ausnahme darstellt. 

 

Die Geschichte der Bankiersfamilie Rothschild beginnt in Frankfurt. Besser gesagt im Juden-Ghetto. Also jenem ärmlichen und überbevölkerten Distrikt der Stadt, in dem die Frankfurter Jüdinnen und Juden leben mussten. Dort kommt in den 1740er Jahren Mayer Amschel Rothschild zur Welt. Auch er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, ist aber schulisch engagiert, vor allem im Fach Rechnen. Nach und nach arbeitet er sich vom Geldwechsler und Antiquitätenhändler bis zum Bankier hoch. Als Wilhelm von Hessen ihm den Titel eines Hoffaktors erteilt, erweitert dies seinen Radius und er gelangt zu Wohlstand. Rothschilds Söhne gründen Bankhäuser in Frankfurt, London, Wien, Paris und Neapel. Sie investieren vielfältig und grenzübergreifend. Obwohl die Rothschilds nicht anders agieren als andere Privatbanken jener Zeit, stehen sie in der Kritik. Sie würden sich durch betrügerische Bankrotte bereichern. Sie seien „Kriegsgewinnler“, weil sie Kredite an kriegsführende Monarchen vergeben. Oder, weil sie eben diese Kredite verweigerten, „Friedensgewinnler“. Mit dem Aufkommen von Großindustrie und Aktienbanken in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verliert das Bankimperium allmählich an Bedeutung. Bis heute jedoch dienen die Rothschilds in verschwörungsideologischen Kreisen als „Beleg“, dass „die Juden“ gierig seien, sich auf Kosten der Bevölkerung bereichern würden, und dass sie illoyal und „vaterlandslos“ seien. „Rothschild“ ist also heute zu einer Chiffre geworden, mit der sich Verschwörungsdenkende milieuübergreifend verständigen.  

 

Eine Chiffre – also ein versteckter Code. Das ist der Name Rothschild mittlerweile geworden. So muss man nicht „die Juden“ sagen, aber alle anderen Eingeweihten wissen, wen man meint. Solche antisemitischen Chiffren gibt es etliche in Bezug auf die Finanzsphäre. Viele entstammen dem antisemitischen Propaganda-Wortschatz des Nationalsozialismus. Da wären zum Beispiel: “Die Goldene Internationale”, “Das Finanzjudentum”, oder der “Ostküsten Kapitalismus”. Wenn einer dieser Begriffe auftaucht, ist mit Sicherheit Antisemitismus im Spiel. Sie alle beschreiben das Gleiche: Eine angeblich jüdisch kontrollierte Finanzsphäre.  

Nun erlauben wir uns mal eine provokante Frage: Angenommen, die ganzen Verschwörungsgläubigen hätten Recht: Was wäre denn das Problem? Dann wären Jüdinnen und Juden eben reich. Na und? Das Problem ist, dass in unserer Welt Geld nicht einfach nur Geld ist. Geld und Reichtum bedeuten Macht. Und wer antisemitisch denkt, denkt auch, dass Jüdinnen und Juden damit Böses im Sinn haben.Was sagen Sie dazu, Herr Engster? 

 

Frank Engster 

Da ist zum einen der Generalvorwurf, dass die Juden eine ihnen nicht zustehende Macht ausüben. Also im Zusammenhang mit Geld und Finanzen, vor allem Besitz, Besitz von Reichtum, Einfluss auf die Ökonomie, auf die Politik und Aneignung von Reichtum, ohne dafür irgendwie gearbeitet zu haben oder produktiv tätig gewesen zu sein. Und zum anderen, das ist so ein bisschen das Spiegelbild, gibt es immer den Vorwurf, dass das zu einer inneren Zersetzung führt, einer inneren Zersetzung vor allem von Völkern, Kulturen, Gemeinschaften. Also der Vorwurf ist: Die Juden würden sich in gesunde Volkswirtschaften einnisten, um dort sozusagen müheloses Einkommen zu erzielen. Mithilfe von bestimmten Finanztechniken: Kredit, Zins und so weiter. Und diese zwei Sachen, die gehen immer zusammen: Also eine Macht auf der einen Seite und dass diese Macht aber immer zu etwas Negativem eingesetzt wird. Also die ist immer zersetzend wirksam, sie dient immer der Ausbeutung und sie dient immer der eigenen Gruppe, also immer der eigenen, jüdischen, verschworenen Gemeinschaft. Und das ist auch der Grund, warum Antisemitismus grundsätzlich in der Krisenzeiten Konjunktur hat. Ich denke aber auch, dass es ein zugrunde liegendes Bild gibt, das problematisch ist und das auch von der normalen Volkswirtschaftslehre vertreten wird. Nämlich die Vorstellung, es gäbe eigentlich so etwas wie eine gesunde, funktionierende Ökonomie im Kapitalismus. Und wenn es so etwas wie Krisen gibt, dann muss das was mit irgendwelchen Störungen und mit äußerlichen Einflüssen zu tun haben. 

Also dann muss immer irgendwie ein Exzess im Spiel sein, eine Gier im Spiel sein oder irgendein Fehlverhalten. Und wenn man so ein harmonisches Bild von der kapitalistischen Ökonomie zeichnet, die eigentlich aus natürlichen Antrieben heraus sozusagen im Gleichgewicht sein müsste, dann ist es auch nur verständlich, wenn dann Krisen auftreten, dass man dann nach irgendeinem äußerlichen Schuldigen sucht.  

 

Nun haben wir es ja aber tatsächlich mit vielen Missständen in unserer Welt zu tun. Das Geld ist unfair verteilt. Einige wenige Superreiche besitzen fast alles, der Rest der Menschheit fast nichts. Außerdem können Spekulationen an der Börse verheerenden Schaden anrichten, wie uns die Geschichte schon mehrmals gelehrt hat.  Schauen wir uns mal an, wie sich Kritik an diesen Missständen artikuliert:  

 

2011 entstand die Protestbewegung Occupy Wall Street. Die Menschen demonstrierten gegen die hohen Gewinne von Banken und Finanzwirtschaft, gegen die Verstrickung einzelner finanzstarker Akteure in die US-amerikanische Politik und allgemein gegen die wirtschaftliche Ungleichheit. Sie forderten eine gerechte Verteilung des Wohlstands und strenge Gesetze für die Finanzwirtschaft. Die meisten Protestierenden, unter ihnen auch Jüdinnen und Juden, forderten soziale Gerechtigkeit. Dafür nutzte die Protestbewegung den Slogan „Wir sind die 99 Prozent“ –  „We are the 99 percent“, um auf die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen dem reichsten Prozent der Bevölkerung und ihnen selbst aufmerksam zu machen. Allerdings zeigte sich auch: Dieser Spruch kann leicht auf ein antisemitisches Weltbild übertragen werden. Dann nämlich, wenn das reichste Prozent der Bevölkerung kurzerhand zu Jüdinnen und Juden erklärt wird. So schlossen sich einige antisemitische Akteure den Protesten an. Sie gaben „den Juden“ die Schuld für die vielfältigen Probleme des Finanzsystems und erklärten sie zum Feind. 

 

Die Occupy-Wallstreet Proteste waren an sich kein antisemitisches Unterfangen. Aber sie zeigen auf, was an vereinfachter Kritik an Börse und Finanzsystem problematisch ist. Sie ist strukturell anknüpfungsfähig für Judenfeindschaft und Verschwörungsdenken. Das macht es für uns um so wichtiger antisemitische Argumentationen und Chiffren zu erkennen. Was sagen unsere Expertinnen und Experten Pia Lamberty und Frank Engster dazu? Was hilft? 

 

Frank Engster 

Klassischerweise würde man sagen, so etwas wie Aufklärung betreiben. Das ist im Fall des Antisemitismus aber genau das Problem, denn der Antisemitismus ist anscheinend immun gegenüber rationalen Argumenten, empirischer Erfahrung, Statistik, sogar gegenüber Evidenz. Und ich glaube, wenn Aufklärung notwendig ist, dann nicht über die Juden, sondern Aufklärung über wie funktioniert Kapitalismus? Wie funktionieren Ideologien? Und wie funktioniert Antisemitismus.  

 

Pia Lamberty 

Also generell finde ich wichtig zu sagen, dass Kritik in einer Gesellschaft etwas Grundlegendes ist und ja auch ein Pfeiler von Demokratie. Das heißt Kritik bringt einen im besten Fall weiter, die hilft Missstände zu benennen, das braucht es. Kritik ist aber nicht das gleiche wie eine Verschwörungserzählung. Bei einer Verschwörungserzählung gibt es dieses Geraune: „Guck mal die da oben. Was hat die denn jetzt wieder gemacht!“ Und in der Regel keine Fakten, die das Ganze untermauern, sondern eben diese, diese Grundannahme, oder dieses Grundraunen, das einfach in die Welt geblasen wird. Und ich glaube, wenn man möchte, dass man nicht klingt wie der nächste Verschwörungsideologe um die Ecke, ist es erst mal wichtig sich zu fragen: Wenn ich sage „Die da oben stecken doch eh alle unter einer Decke“ vielleicht bin ich in meiner Kritik dann recht nah dran und muss das nochmal auseinander differenzieren. Überlegen: Was meine ich denn damit? Was für Belege habe ich denn eigentlich für meine Aussagen? Gibt es die, oder ist das nur ein Bauchgefühl? Das ist auch manchmal ok, aber dass man da nochmal vielleicht ein besseres Gefühl für die Faktensicherheit der eigenen Aussage bekommt. Das ist schon mal etwas, was hilft. Und wenn man eben Probleme konkret benennt und nicht in so ein „Die da oben“ abgleitet. Also es gibt ja auch – egal ob es jetzt bei Medien ist, im Gesundheitssystem, in der Politik – sehr sehr sehr viele Sachen, die man kritisieren kann und auch sollte. Aber konkret, faktenbasiert. Und das ist glaube ich der größte Schutz, dass man selber nicht in „Guck mal, was die da oben machen“ abgleitet.  

 

Der Kapitalismus muss also als ein systemisches, abstraktes Herrschaftsverhältnis wahrgenommen werden. Und nicht nur als finsterer ausbeuterischer Plan einer kleinen verschworenen Gemeinschaft von “Börsianern”, die sich auf Kosten anderer bereichert. Der Schritt zum Antisemitismus ist nämlich in dieser verkürzten Kritik nur noch ein kleiner. Unsere Episode zum Thema Geld ist an ihrem Ende angelangt. Wir fassen zusammen:

Erstens: Das Vorurteil, dass Jüdinnen und Juden angeblich das Geld oder gleich die Banken kontrollieren würden, hat alte Wurzeln. Verschwörungsmythen beziehen sich dabei immer wieder auf einzelne erfolgreiche emporstrebende jüdische Personen oder Familien. Zwar sind das Einzelfälle, aber bis heute gelten sie als Beweis für den angeblichen jüdischen Reichtum und Einfluss. Ein genauerer Blick in die Geschichte zeigt aber: Der Großteil der europäischen jüdischen Gemeinschaft war arm. Verschwörungsmythen blenden diese Tatsache einfach aus.  

Zweitens: Unsere Finanzsphäre ist komplex und offensichtlich oftmals unverstanden. Da greift dann die Personifizierung. Wer sich lieber an einzelnen Sündenböcken abarbeiten will, anstatt einer ausgereiften Systemkritik nachzugehen, der findet im antisemitischen Verschwörungsmythos alles, was er braucht.  

Und Drittens: Kritik ist wichtig – und notwendig. Doch sobald es um die Themen Geld, Wirtschaft, Finanzen oder Börsen geht, ist Antisemitismus und Verschwörungsdenken nicht weit. Es ist also Vorsicht geboten.  

Verdächtig sollten uns dabei immer die gängigen Motive judenfeindlicher Verschwörungsmythen sein.  

 

Damit endet unsere Episode zum Thema Geld. Wir sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal.  

 

 

 

 

 

Bildnachweise

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„Die Affinität der Juden zum Geld, die immer wieder behauptet wird, ist sicherlich eines der stärksten Vorurteile, dass Jüdinnen und Juden entgegengebracht wird.“
Prof. Dr. Gideon Botsch
„Der Antisemitismus ist immun gegenüber rationalen Argumenten, empirischer Erfahrung, Statistik, sogar gegenüber Evidenz. Wenn Aufklärung notwendig ist, dann nicht über die Juden, sondern Aufklärung darüber, wie der Kapitalismus funktioniert.“
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